Deutschland besteht nicht nur aus Fußball und Vereinen, Autos und Bier. Auch die Bürgerinitiativen machen das Land aus. Die Deutschen haben einen besonderen Hang zum zivilgesellschaftlichen Engagement. Dieses haben sie sich historisch angeeignet. In den 1960er Jahren kam es mit Protestbewegungen unterschiedlichster Art zum kulturellen Aufbruch. Nach den Studentenprotesten folgte die Frauenbewegung, die sich für die rechte weiblicher Bürgerinnen stark machte. Anschließend rückten die Friedensbewegung und die Initiativen gegen Atomkraft vor. Schließlich entstand eine Umweltbewegung, aus der heraus sich eine eigene Partei gründete: Die Grünen. Auch für die Rechte von Lesben, Schwulen und Intersexuellen machten sich viele Menschen mit einer eigenen Bewegung stark.
Immer wieder gingen die Menschen lautstark auf die Straße und artikulierten wichtige Forderungen. Indem nicht nur Politiker sich äußerten, sondern auch ganz normale Bürger öffentlich das Wort ergriffen, entstand eine neue Debattenkultur. Über die Forderungen großer Demonstrationen konnte auch die Politik nicht so leicht hinwegsehen. Die Deutschen verstehen, dass mit dem öffentlichen Auftritt auch Einfluss ausgeübt werden kann. Bewusst machen sie sich deshalb bis heute immer wieder selbst für ihre Anliegen stark. Nicht nur auf der obersten Ebene werden die Menschen aktiv. Auch in kleinen Orten bilden sich immer wieder Bürgerinitiativen. Gleich nach der Vereinsmeierei scheint die Gründung und Unterstützung von Bürgerinitiativen oder Petitionen ein beliebtes Hobby zu sein. Das ist eine gute Sache.
Einerseits belebt es die politische Debatte und animiert die Menschen dazu, sich auch selbst zu Wort zu melden. Andererseits wurden durch solche Aktivitäten auch wichtige Anliegen auf den Weg gebracht. Zivilgesellschaftliches Engagement hat viele Streits in der Gesellschaft entfacht. Am Ende einer jeden Auseinandersetzung stand dabei aber immer auch ein ausgewogenes Urteil. Über das Engagement wird den Menschen zudem klar, dass sich Politik auch verändern lässt. Damit bietet das Engagement eine der wichtigsten Grundlagen für eine lebendige Demokratie. Wenn einzelne Streits dann nicht zu Gunsten der eigenen Meinung entschieden werden, können die Menschen damit leben. Wenn stattdessen einfach über ihre Köpfe entschieden wird, gefährdet das hingegen die Demokratie. Die Gründung vieler Bürgerinitiativen hat genau aus diesem Grund zur Verfestigung der Demokratie beigetragen.
Die Demonstrationen boten eine wichtige Arena, in der die politische Auseinandersetzung um die Widersprüche in der Gesellschaft ausgetragen werden kann. Gerade auch jungen Menschen bietet zivilgesellschaftliches Engagement eine gute Möglichkeit, die eigenen Anliegen in die gesellschaftliche Debatte hineinzutragen. Bei jedem Aufbruch in der Gesellschaft waren immer auch junge Menschen an der Initiierung wichtiger Debatten beteiligt. In der Regel schaffen die großen Initiativen jedoch den Brückenschlag zwischen Generationen. Sie machen deutlich, dass ein bestimmtes Problem alle Menschen betrifft und bearbeitet werden muss. Für die vielen Bürgerinitiativen und Petitionen muss man dieses Land einfach schätzen.
Sie sind ein Teil der lebendigen Streitkultur Deutschlands. Und diese Streitkultur macht das Land auch aus. Wo man sich in aller Offenheit gestritten hat, findet man anschließend auch wieder zueinander. Das zeigt sich nicht nur im kleinen Rahmen, sondern auch im gesellschaftlichen Ganzen. Die Zivilgesellschaft bietet in Deutschland sowohl Plattformen für den politischen Streit wie auch zum Zusammenfinden.